Der Weg zum Schreinerdorf
Als kleines, von der Landwirtschaft geprägtes Dorf bot Eschelbronn für Handwerker im 18. und 19. Jahrhundert kaum ausreichende Verdienstmöglichkeiten. Seine Entstehung als Schreinerdorf verdankt es teils einem Zufall, teils aber auch dem Mut, der Phantasie und der Fähigkeit seiner Bewohner, neue Möglichkeiten zu erkennen und umzusetzen.
Üblicherweise war in jedem Dorf ein Schreiner ansässig, der für das Bett und den Tisch der Brautleute sorgte. Wenn sich Nachwuchs einstellte, war er für die Wiege zuständig, und am Ende eines Lebens war er wieder zum Schreinern des Sarges gefragt. So hielten sich die Verdienstmöglichkeiten in Grenzen.
Mitte des 18. Jahrhunderts bis Anfang des 19. Jahrhunderts sind ein gewisser Andreas Wolff (1748 - 1802) und Johann Adam Butschbacher (1761 - 1832) als Schreiner in den Kirchenbüchern genannt. Johann Georg Wolff (geb. 1788) und Andreas Schön (1782 - 1861) wurden später als Schreinermeister erwähnt. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts übten sie ihr Handwerk vermutlich als Nebenerwerb zu ihrer Landwirtschaft und zur Leineweberei aus.
Um 1870 war Johann Adam Karl Kaiser Inhaber einer Schreinerei. Er schickte seinen Sohn Georg Adam auf Wanderschaft. Dieser sollte in der Fremde neue Erfahrungen auf dem Gebiet des Schreinerhandwerks sammeln. Dies dürfte um 1871 nach Beendigung des Deutsch-Französischen Krieges gewesen sein, da Georg Adam Kaiser sonst wehrpflichtig gewesen wäre und kaum die Erlaubnis erhalten hätte, seinen Heimatort zu verlassen. Georg Adam landete schließlich im südbadischen Lahr und arbeitete dort in einer Schreinerei mit Johannes Reimann zusammen.
Johannes Reimann stammte aus der Schweiz und wollte sich ebenfalls beruflich weiterbilden. Die beiden jungen Schreinergesellen freundeten sich an und als Johannes Reimann vom Furnieren erzählte, erkannte der Freund Georg Adam Kaiser bald die Chance, die die Kunst des Furnierens für das Schreinerhandwerk bieten würde. Schließlich überredete Georg Adam Kaiser seinen Freund und Kollegen Johannes Reimann, mit ihm nach Eschelbronn zu kommen und dort das Furnieren zu demonstrieren.
Johannes Reimann mietete sich im Haus Oberstraße 16 im ersten Obergeschoss einen Raum, den er als Schreinerei einrichtetet. Im gleichen Hof gegenüber wohnte die Familie Christoph Geiger. Das Verhältnis zwischen dem Schweizer Johannes Reimann und seinen Nachbarn muss ausgesprochen gut gewesen sein, denn schon am 11. Juni 1874 heiratete Johannes Reimann deren Tochter Anna Maria. Damit verlor er seine Schweizer Staatsbürgerschaft und wurde bereits am 20. Juni 1874 aus dem Züricher Staatsverband entlassen.
Die jungen Burschen aus Eschelbronn interessierten sich bald für die Fertigkeiten des Johannes Reimann und immer mehr erlernten das Schreinerhandwerk.
Johannes Reimann fertigte auch meisterhafte Intarsienarbeiten. Ein kunstvoll gestaltetes Nähtischchen ist bei seinen Nachfahren vorhanden und wird hoch in Ehren gehalten.
Ebenso wichtig für die Entwicklung des Dorfes waren die vielfältigen Kenntnisse, die Georg Adam Kaiser von seiner Wanderschaft mitgebracht hatte, und die er in die Schreinerei seines Vaters einbrachte und schon 1882 beschäftigte die Schreinerei Kaiser zwölf Schreinergesellen. Die meisten davon machten sich im Laufe der Zeit selbständig und bildeten wieder junge Schreiner aus.
Ein großer Vorteil für die Schreiner war die Großherzoglich Badische Eisenbahnlinie, die bereits 1862 gebaut worden war und im Jahr 1876 den Bahnhof in Eschelbronn in Betrieb nahm. Damit war das Transportproblem für die Schreinereierzeugnisse zu den weiter entfernt wohnenden Kunden gelöst. In der näheren Umgebung wurden die Möbelstücke vielfach noch per Fuß mit Handkarren, dem Schreinerwäjele ausgeliefert. Von Johannes Reimann ist überliefert, dass er einen Schrank auf einer Schubkarre per Fuß zu einem Kunden auf den Dilsberg brachte. Es war sicher keine Vergnügungsreise.
Kleiderschränke, sogenannte Chiffonnett, von der Schweizer Bezeichnung Chiffonniere für Kleiderschrank abgeleitet, waren in den ersten Jahren die Hauptfertigungsgegenstände der Eschelbronner Schreiner. Die Schwierigkeit, ein großes Stück fehlerlos zu furnieren und vermutlich auch die beengten Verhältnisse in den damaligen Schreinereien, die lediglich aus einer niedrigen Stube bestanden und häufig auch im ersten Stock eines Hauses untergebracht waren, verhinderten die Herstellung größerer Schränke.
Zunächst stellte man Schränke in einer Breite von 80 cm her. Das gut florierende Geschäft hatte die Vergrößerung der Werkstätten zur Folge. Damit war auch die Möglichkeit gegeben, größere Möbelstücke herzustellen, die Schränke wurden breiter, bis schließlich 140 cm erreicht waren. Die Schwierigkeiten beim Transport eines Schrankes aus dem ersten Stock über eine sehr enge Stiege hat später dem 140er Schrank die Bezeichnung "en hunnerverzicher Dunnerwetter" eingebracht. Beim Anblick eines so breiten Schrankes soll ein Schreinergeselle ausgerufen haben: "O liwwer Herzicher, en Hunnertverzicher!"
Die ersten vollständigen Schlafzimmer mit Doppelbett, Nachtschränkchen, Frisierkommode, Herrenkommode und Kleiderschrank tauchten in den 20er Jahren auf.
Doch bis es soweit war, gingen viele Betriebsgründungen über die Bühne. Der Höhepunkt war schließlich 1925 erreicht, als bei einer Betriebszählung unter 1135 Einwohnern 54 Schreinereien festgestellt wurden. Die Gründungen gingen in der Folge langsamer vonstatten und bis 1938 war die Höchstzahl an Schreinereien von 60 erreicht.
Bereits 1918 übernahm Philipp Ernst die Schreinerei von Adam Kaiser, bei dem er als Geselle gearbeitet hatte. Philipp Ernst dachte innovativ und verlegte seinen Betrieb in die Schulstraße. Dort hatte er die Möglichkeit, in den kommenden Jahren seinen Betrieb stetig zu erweitern, und 1960 zählte die Firma bereits 200 Mitarbeiter.
Das Arbeitsleben im Dorf richtete sich nach der Firma Philipp Ernst. Morgens um sieben Uhr ertönte die Sirene und man begann mit der Arbeit. Mit der Vesper- bzw. Mittagspause sowie dem Arbeitsende um 17 Uhr richtete sich das ganze Dorf nach der Sirene vom Philipp Ernst. Die Frage: "Hot's geblose?" und die Antwort darauf: "S hot geblose" war die Aufforderung für das ganze Dorf, mit der Arbeit anzufangen oder sie zu beenden. Selbst für die Bauern war die Sirene vom Philipp Ernst die Uhr, nach der sie ihre Arbeit begannen oder ihre Pausen machten.
Wie so vieles, ist leider auch die Firma Philipp Ernst inzwischen im Dorf Geschichte. Andere Möbelfabriken sind entstanden und zum Teil bis heute noch erhalten. Hinzu kommen Möbelhäuser, die sich größtenteils mit der Kundenberatung und dem Verkauf von Möbeln befassen. Auf jeden Fall scheinen die meisten Kunden mit der Qualität der Eschelbronner Erzeugnisse zufrieden zu sein, denn teilweise kommen Hochzeitspaare selbst aus Bayern und der linksrheinischen Pfalz schon in der dritten Generation nach Eschelbronn, um ihre Aussteuermöbel hier zu kaufen oder fertigen zu lassen.
(Marliese Echner-Klingmann 2/2000 /Quelle: 1200 Jahre Eschelbronn, J. Friedel 1989)